Wie viele Generationen vor ihnen lesen die hessischen Fachoberschüler derzeit Georg Büchners „Woyzeck“. Dabei ist dieses Drama aus den 1830ern keineswegs trockener Unterrichtsstoff, sondern ein zeitloses Stück Weltliteratur. Um dies erfahrbar zu machen, holten die BSG Bad Nauheim den Schauspieler Reimund Groß an die Schule. In einem minimalistischen Setting ohne Bühnenbild und Requisiten entfaltete dieser seine handwerklich-künstlerischen Fähigkeiten und bescherte den angehenden Absolventen in der Mehrzweckhalle der Schule eine etwas andere Unterrichtsstunde.
Das Stück handelt von dem mittellosen Soldaten Woyzeck, der sich aufreibt, um seine junge Familie durchzubringen. Marie, die Mutter seines unehelichen Kindes, verfällt jedoch dem attraktiveren Tambourmajor. Das Stück endet mit einem Eifersuchtsmord, der eher als Ergebnis gesellschaftlicher Gewaltverhältnisse als individuellen Versagens erscheint.
Gelegentlich von der Gitarre untermalt spielte Groß alle Figuren, darunter sehr zum Amüsement der Zuschauer auch ein Pferd. „Ich möchte vermitteln, was das analoge Theater kann“, erklärt Groß im Interview. Angestoßen sei das Konzept zwar durch die Tatsache, dass ein komplettes Ensemble mit angemessen bezahlten professionellen Schauspielern für Schulen nicht finanzierbar sei. Die Reduktion auf das Wesentliche zeige aber, was das Schauspiel im Kern ausmache. Die emotionale und bildhafte Sprache Büchners, deren Wirkung nicht logisch erklärbar sei, könne so gut vermittelt werden.
Im Anschluss war auch Raum für Fragen. Wie man Schauspieler werde, wie lange man brauche, um den Text zu lernen und was die Eltern zu der Berufsentscheidung gesagt hätten, wollten Schüler wissen. Groß entdeckte seine Leidenschaft für das Schauspiel schon als Kind, besuchte eine Schauspielschule und spielte am Theater und beim Film. Am Woyzeck habe er etwa ein Jahr lang gearbeitet und etwa drei Stunden täglich Text gelernt. Er komme aus einer Landwirtsfamilie, die seine Entscheidung respektiert habe. Er arbeite aber zum Ausgleich auch noch gerne auf dem Hof.
Die Deutschfachschaft der Schule ist sehr zufrieden mit dieser von der Lehrerin Eva Meyer organisierten Möglichkeit, Schüler mit dem Theater bekannt zu machen. Der Theaterbetrieb hat bekanntlich Schwierigkeiten damit, ein breiteres Publikum anzusprechen, sodass Erfahrung mit den heiligen Hallen des Kulturbetriebs nicht immer vorausgesetzt werden kann. Die Vermittlung von Kunst ist Groß eine wichtige Aufgabe. Vielleicht hat er damit doch den einen oder anderen Besuch einer dreistündigen Shakespeare-Inszenierung am Frankfurter Schauspiel angestoßen.
Bad Nauheim (pv). Theater spielen macht stark fürs Leben – so könnte man die Erfahrungen der Projektwoche an den Beruflichen Schulen am Gradierwerk Bad Nauheim (BSG) zusammenfassen. An dem Theaterworkshop nahmen kürzlich 40 Schülerinnen und Schüler der beiden 10. Klassen der Berufsfachschule mit dem Schwerpunkt Medizin und Krankenpflege teil.