Wie kann man individuelle Fremdenfeindlichkeit, Diskriminierung und Gewalt erklären? Ein wesentlicher Aspekt bei der Beantwortung dieser Frage ist, dass wir unterscheiden zwischen Personen/Gruppen, die zu uns gehören und Personen/Gruppen, die nicht zu uns gehören. Prof. Dr. U. Wagner verdeutlichte die Problematik am "Minimal-Group"-Paradigma:
Experiment: Die Mitglieder einer Gruppe von Menschen werden per Zufall einer blauen oder grünen Untergruppe zugelost. Keiner weiß vom anderen, zu welcher Gruppe er/sie gehört. Aufgabe: Alle Mitglieder der beiden Gruppen sollen jetzt einen kleinen Gewinn/Geldbetrag an zwei Personen verteilen. Sie können sich nicht selbst begünstigen, sie wissen auch nicht, wer das Geld bekommt, sie wissen nur, dass eine dieser Personen der eigenen Gruppe angehört, die andere der fremden. Wie viel sie der eigenen Gruppe und wie viel sie der anderen Gruppe geben würden, können sie in diesem Verteilungsschlüssel ankreuzen:
Erfahrungsgemäß wird die eigene Gruppe systematisch bevorzugt: ca. 60 – 70 % des Betrages erhält die eigene Gruppe.
Schlussfolgerungen: Dieses Experiment zeigt deutlich, dass die Unterscheidung zwischen selbst/fremd keinen automatischen/natürlichen Ursprung hat (z. B. Hautfarbe etc.), sondern gemacht ist, völlig künstlich sein kann: eigene und fremde Gruppenzugehörigkeit sind von außen offenbar sehr schnell herstellbar.
Wer definiert selbst/fremd in unserer Gesellschaft? Wer sind die Versuchsleiter, die solche Unterscheidungen herstellen?
Politik und Medien bestimmen unsere Kultur, der öffentliche Diskurs bestimmt, wer als fremd und wer als nicht fremd angesehen wird. Das Wissen über fremd/nicht fremd ist sozial konstruiert.
Beispiele: Sinti und Roma heutzutage und die Stigmatisierung der Schwarzen im Zuge der Kolonialisierung Afrikas (geschichtliche Komponente)
Wichtige Grundlage aller weiteren Überlegungen: Zum "Fremden" wird man gemacht, man ist es nicht psychologisch unabänderbar.
Die Unterscheidung zwischen eigen/fremd vollzieht sich nicht emotionslos. Die Gefühle Angst, Verachtung und gar Gleichgültigkeit spielen dabei eine große Rolle. Obwohl die meisten Menschen selbst wenig über die "Fremden" wissen, sind sie strark von diesen Gefühlen bestimmt. Das "Wissen" über die "Fremden" ist in der Regel medial vermittelt (Beispiel Sinti und Roma) und hat einen großen Einfluss auf Abgrenzung und Ausgrenzung.
Eine Befragung aus jüngerer Zeit zeigt deutlich, welche Rolle Angst spielt:
Das Gefühl der Verachtung ist eine noch eingreifendere Emotion. Hier ist die Ausgrenzung aus der Gemeinschaft Programm. Der Einfluss dieser Emotion auf fremdenfeindliche Gewalt ist besonders stark.
Gleichgültigkeit scheint heutzutage das vorherrschende Gefühl zu sein. Die Debatte über die zunehmende Anzahl von in Deutschland Asyl-Suchenden wird eher emotionslos geführt. Die polische Rechte heizt diese Debatte relativ wenig an, abgesehen von einigen Brennpunkten spielt Angst keine große Rolle: "Dann sollen sie eben kommen, auch egal."
Für die Betroffenen entsteht dadurch eine schwierige Situation, niemand scheint sich mehr um sie zu kümmern.
Ein Beispiel liefert eine aktuelle Umfrage zur "historischen Verantwortung gegenüber Sinti und Roma" der Anti-Diskriminierungskommission:
Dem größten Teil der Befragten ist es schlicht egal, ob es eine historische Verantwortung gegenüber den Sinti und Roma gibt/geben sollte oder nicht.
Die Gefühle Angst, Verachtung und Gleichgültigkeit haben sehr viel mit Unkenntnis zu tun. Untersuchungen zeigen, dass rechte Gewalttäter ihre Opfer noch nicht einmal kennen. Bei den Taten handelt sich also nicht um persönliche Racheakte.
Den Zusammenhang zwischen Ablehnung und Unkenntnis verdeutlicht folgende Befragung:
Aus Sicht der Befragten unterscheiden sich in ihrem Lebensstil Muslime, Sinti/Roma und Asylbewerber am stärksten von dem der meisten Deutschen (lange Balken), "mit denen kommt man nicht klar, die kennt man nicht".
Diese Einschätzung korrespondiert mit der Ablehnung, die die Befragten diesen Bevölkerunggruppen entgegenbringen (lange Balken). Diejenigen, die sie nicht kennen, haben in besonderem Maß unter ihrer Antipathie zu leiden.
"Zugesprochene Andersartigkeit führt zu Ablehnung."
Die Diskriminierung, Ablehnung und die Feindschaft gegenüber Fremden ist nicht nur ein psychologisches Phänomen. Der gesellschaftliche Kontext spielt eine große Rolle.
Das politische Klima wird von Politik und Medien bestimmt. Die Berichterstattung erzeugt das gewünschte Bild: "Das Boot ist voll." (Spiegel-Titel). Solche Metaphern fallen auf fruchtbaren Boden bei Menschen, die zwischen sich und anderen gerne unterscheiden wollen.
"Berlin. Die Zuwanderung von Rumänen und Bulgaren nach Deutschland ist zum Jahresanfang um bis zu 80 Prozent gestiegen ... Für die beiden EU-Staaten waren am Jahresanfang die letzten Schranken zum deutschen Arbeitsmarkt gefallen." (Handelsblatt - 01.04.2014)
Zu solchen Formen der Berichterstattung gibt es vernünftige Alternativen, deshalb im dritten Teil die Frage: Was kann man gegen individuelle Fremdenfeindlichkeit, Diskriminierung und Ausgrenzung tun?